Ein Gastbeitrag von Gabriella Suzanne Vanzan

Als mich PEM, der Panhellenische Verband der Übersetzer und Dolmetscher, bat, auf seiner „Are we fit for the future?” betitelten Konferenz eine Impulsrede über das Dolmetschen zu halten, dachte ich sofort an den digitalen und ökologischen Wandel.

Als Disclaimer möchte ich jedoch vorausschicken, dass dieser Gastbeitrag, genauso wie meine Impulsrede, nur einen kleinen Überblick darüber gibt, welche Veränderungen die digitale und ökologische Transformation in unserer Branche bewirkt.

Dolmetschen goes digital

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Dolmetsch-Branche radikal verändert. Vor der Krise wurden Events noch als Präsenzveranstaltungen durchgeführt und wir Dolmetscher:innen reisten kreuz und quer durch ganz Europa. Mit der Pandemie mussten wir unsere Arbeit auf Homeoffice oder auf Dolmetsch-Hubs umstellen.

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Converso RSI-Hub in Mailand (Bild von Gabriella Vanzan)

Mit dem Ferndolmetschen und den RSI-Plattformen kam das Problem der Tonqualität und deren schädlichen Folgen für das Gehör der Dolmetscher:innen. Anfangs sprach man nur von akustischen Schocks und empfahl den Einsatz von Headsets mit Schallschutz. Mit der Zeit wurde aber klar, dass eine schlechte Tonqualität über längere Zeit zu vorübergehenden oder sogar dauerhaften Schäden führen kann und dass das technische Equipment der Redner einen krassen Unterschied macht.

2023 wurden die Ergebnisse einer AIIC-Studie (THC Microphone Study) an über 70 Mikrofonen veröffentlicht. Sie machte deutlich, dass Desktop-Mikrofone besser als Headsets sind. Kein Wunder, dass auch das EU-Parlament und die Kommission inzwischen auf unidirektionale Desktop-Mikrofone mit USB-Anschluss umgestiegen sind (s. als Beispiel den Verhaltenskodex für die Online-Teilnahme an mehrsprachigen Sitzungen und Konferenzen der GD SCIC der EU-Kommission).  

Die Plattformwirtschaft und die Uberisierung der Arbeitswelt

Was sind eigentlich RSI-Plattformen? RSI-Plattformen mit ihren digitalen Marktplätzen sind eine Form der Plattformwirtschaft (Gig Economy). Die Plattformwirtschaft ist durch flexible, projektbasierte Arbeitsmöglichkeiten gekennzeichnet. Digitale Plattformen dienen als Vermittler zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, und stellen letztere in Konkurrenz zueinander. Kein Wunder, dass der Druck auf Honorare oft auf Kosten der Qualität geht. Die vorgeschlagene EU-Richtlinie zur Regulierung von Plattformarbeit soll für einen fairen Wettbewerb und faire Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft sorgen.

Dolmetscher-Avatare im Metaverse

Das Metaverse, also das Zusammenspiel von virtueller, erweiterter und reeller Welt, scheint vielversprechend zu sein und eine Menge nützlicher Anwendungen zu bieten. Konferenzen im Metaverse sind jedoch noch selten, und der Grund liegt wahrscheinlich auch am stärkeren Wunsch nach sozialen Kontakten und Präsenzveranstaltungen nach der Corona-Pandemie.  

Künstliche Intelligenz und generative KI

Kommen Ihnen Begriffe wie LLM und ASR wie Spanisch vor? Kein Wunder, aber Sie sollten sich mit diesen Begriffen schnellstmöglich vertraut machen. Large Language Models (LLM) sind große Deep-Learning-Sprachmodelle, die mit riesigen Datenmengen trainiert werden. ASR steht für automatische Spracherkennung.

Wir leben im Zeitalter der KI, aber der Begriff KI selbst reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Während KI menschlichen kognitiven Fähigkeiten nachahmt, kann generative KI-Texte, Bilder, Töne und verschiedene andere Inhalte erzeugen.

Seit der Einführung von ChatGPT beherrscht das Thema KI die Schlagzeilen. ChatGPT war ursprünglich ein reines Sprachmodell (GPT-3). Sein Nachfolger GPT-4 ist ein multimodales KI-Modell, das nicht nur mit Text, sondern auch mit Bildern umgehen kann. Daten sind der Treibstoff der KI. LLM werden mit Unmengen an Daten aus dem Internet gefüttert, einschließlich sensibler Informationen und urheberrechtlich geschütztem Material. Als urheberrechtlich geschütztes Material gelten nicht nur Übersetzungen, sondern auch die Leistungen von Konferenzdolmetscher:innen, die durch das Berner Übereinkommen von 1886 geschützt sind.

KI und Dolmetschen

Das Video „Pro Interpreters vs. AI Challenge: Who Translates Faster and Better?hat für viel Gesprächsstoff gesorgt. Hier treten zwei menschliche Dolmetscher gegen KI an. Laut Meinung der beiden Experten eignet sich KI für Situationen, in denen Fehler und Missverständnisse kaum Konsequenzen haben. Sie würden ihr auf keinen Fall bei hochrangigen politischen und diplomatischen Treffen, in Gerichtssälen, in medizinischen Interaktionen, in Asylfällen vertrauen, also dort wo weitreichende Entscheidungen getroffen werden sollen. Fazit: KI kann bisher keine wirklich gute Qualität liefern und wird daher vorerst dort eingesetzt, wo es nicht auf Qualität ankommt. Somit wird die Qualität für Berufsdolmetscher:innen zum ausschlaggebenden Faktor.  

Wir sollten außerdem das Potenzial von KI erkennen und KI weniger als Konkurrenz, sondern vielmehr als Werkzeug sehen. Nehmen wir als Beispiel die ASR-Technologie. Wir können sie zur Vorbereitung von Dolmetscheinsätzen verwenden, mit Hilfe anderer KI-Tools aus dem Transkript Fachbegriffe extrahieren und Zusammenfassungen erstellen, oder die Echtzeit-Transkription als Backup für Simultan- und Konsekutiveinsätze benutzen. Was auch immer das Tool ist, immer auf Vertraulichkeit achten!

Digitalisierung und KI bieten zwar vielversprechende Ansätze, um Klima und Umwelt weniger zu belasten, jedoch ist ihr ökologischer Fußabdruck enorm hoch. Forscher:innen schätzten, dass das Training von GPT-3 zu Emissionen führte, die einem 550-maligen Hin- und Rückflug zwischen New York und San Francisco entsprechen. GPT-4 wurde mit 570-mal mehr Parametern trainiert als sein Vorgänger.

Die ökologische Wende

Kurz vor der Pandemie stellte die EU-Kommission ihren Europäischen Green Deal vor. Das wichtigste Ziel: bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr auszustoßen. 2021 präsentierte sie das Klimaschutzpaket „Fit for 55“, das eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 55% bis 2030 vorsieht.

Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und das Pariser Klimaabkommen hatten hierfür die Weichen gestellt. Das klassische Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, aufbauend auf drei gleichrangigen Säulen (Wirtschaft, Ökologie und Soziales), gilt inzwischen als überholt. Die aktuellen Herausforderungen (Klimawandel und Biodiversitätskrise) erfordern einen Perspektivenwechsel hin zu einer starken Nachhaltigkeit, wie das Hochzeitstorten-Modell des Stockholm Resilience Center zeigt. Ausgangspunkt dieses Modells ist die Tatsache, dass Wirtschaft und Soziales in die Biosphäre eingebettet und von deren Erhalt abhängig sind.

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Credit: Azote for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University CC BY-ND 3.0.

Willkommen im Anthropozän!

Der Begriff Anthropozän beschreibt den tiefgreifenden Einfluss des Menschen auf die Erde. Das Anthropozän bringt eine “große Beschleunigung” sozio-ökonomischer und ökologischer Megatrends, die an die planetaren Grenzen stößt. Wie können wir unser Leben, unsere Branche so umbauen, dass wir die planetaren Grenzen einhalten?

Entschleunigung liegt an uns

Green Events sind schon seit Jahren ein Thema und egal ob (beratende) Dolmetscher, Auftraggeber, Event-Veranstalter oder Technik-Anbieter, jeder von uns kann etwas tun, um mit natürlichen Ressourcen schonend umzugehen. Dazu gibt es reichlich Arbeitshilfen, wie der Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen des BMUV oder die 7 steps for greener events der GD SCIC der EU-Kommission. Die 7 Tipps der EK enthalten viele gute Hinweise wie die Umstellung von Präsenz- auf Hybridveranstaltungen. Müssen alle Teilnehmer überhaupt an einem Ort zusammenkommen? Hybride Veranstaltungsformate haben sich als Treiber des Marktes erwiesen. Laut The Nimdzi 2023 Interpreting Index lag deren Anteil weltweit bei 12%, mit steigender Tendenz. Hybride und virtuelle Veranstaltungen ermöglichen enorme Einsparungen bei CO2-Emissionen, Ressourcenverbrauch und Lebensmittelverschwendung.

Bei Präsenz- und Hybridveranstaltungen kann die Wahl nachhaltiger Locations, mit Tagungsverpflegung mit regionalen und fair gehandelten Lebensmitteln, und umweltfreundlicher Hotels, die sich gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen lassen, einen großen Unterschied machen. Ein sehr nützliches Tool, um die durch eine Veranstaltung entstehenden Treibhausgasemissionen zu ermitteln ist der UBA CO2-Rechner für Veranstaltungen. Den gibt es übrigens auch für Privatpersonen (UBA CO2-Rechner).

Ziel Klimaneutralität

Die Grundregel lautet: erst vermeiden und reduzieren, dann unvermeidbare Emissionen kompensieren. CO2-Kompensation darf nicht den Vorrang vor dem Vermeiden und Reduzieren von CO2 haben. Die Zeit drängt zwar, aber Klimaneutralität geht nicht von heute auf morgen. Klimaneutralität ist ein Prozess mit vielen kleinen Schritten. Und jeder Schritt zählt. Weniger Auto fahren, oder vom Auto aufs Rad umsteigen, ÖPNV benutzen, seltener Fleisch essen, Strom sparen, bewusster einkaufen, Müll vermeiden, papierlos arbeiten, auf Einwegplastik verzichten… Es ist die Summe der kleinen Schritte jeder einzelnen Person, die letztlich den Unterschied macht.

Zur Autorin

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Gabriella Suzanne Vanzan ist freiberufliche Konferenzdolmetscherin und Dozentin für Konferenzdolmetschen. Sie stammt aus einer österreichisch-italienischen Familie und lebt in Mailand, Italien. Sie ist Vizepräsidentin bei FIT Europe, dem europäischen Regionalzentrum vom internationalen Verband der Übersetzer und Dolmetscher (Fédération Internationale des Traducteurs, FIT) und verfolgt mit großem Interesse die Entwicklungen in der Branche rund um Präsenz-, Hybrid- und Ferndolmetschen, Tonqualität, CAI- und KI-Tools.

Sie ist außerdem seit vielen Jahren in der Umweltszene aktiv als Vizepräsidentin von Mountain Wilderness International, einer NGO mit Fokus Berggebiete, und als Climate Leader bei Al Gores The Climate Reality Project. Zusammen mit Gleichgesinnten möchte sie die Dolmetsch-Branche zu mehr Umweltbewusstsein bewegen. 

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